Überlastet am Arbeitsplatz? Was bringt eine Überlastungsanzeige?
Liebe Mitglieder,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
schon seit einigen Jahren steigt die Arbeitsbelastung in allen Laufbahnen des rheinland-pfälzischen Justizvollzugs. Kündigungen, Versetzungen zu anderen Dienstherrn, vorzeitige Pensionierungen, die Nichtbesetzung vorhandener Planstellen und ein permanenter Mangel an Nachwuchskräften haben zu einer „Ausdünnung“ des Personalkörpers geführt. Aber auch die Anforderung an jeden einzelnen Bediensteten ist in den letzten Jahren durch neue Gesetze und immer mehr Vorschriften und Vorgaben gestiegen.
Immer mehr Arbeit muss unter Zeitdruck von immer weniger Personal erledigt werden!
Dienstältere Kolleginnen und Kollegen berichten aus ihrer langjährigen Berufserfahrung, dass es schon immer Spitzen in der Arbeitsbelastung gab. Diese waren früher meist zeitlich befristet und es wurden in der Regel Maßnahmen ergriffen, diese Arbeitsspitzen abzubauen oder zu verhindern.
Leider hat sich hier die Realität verändert:
Permanente Arbeitsverdichtungen sind zwischenzeitlich leider keine Seltenheit.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass eine ständige Überlastung im Berufsleben zu Erkrankungen führen kann. Körperliche und seelische Erschöpfung, das Gefühl „ausgebrannt“ zu sein, können die Folge einer längeren Überbeanspruchung bzw. Überforderung sein.
Die Grenze der Belastung ist spätestens dann überschritten, wenn der Stress unerträglich wird, der Körper streikt und ein geregeltes Privat- und Familienleben nicht mehr stattfindet. Resignation und Wut sind in dieser Situation auftretende Gefühle, oft gepaart mit dem Gefühl der Hilflosigkeit. Insbesondere die Bediensteten im Wechselschichtdienst unserer Einrichtungen können von diesen Missständen berichten. Aber auch alle im „uniformierten“ Dienst befindliche Bedienstete können betroffen sein: Wenn wiederholt das im Dienstplan vorgesehene „freie Wochenende“, welches man mit der Familie verbringen wollte und das eigentlich zur körperlichen und seelischen Regeneration genutzt werden soll, wegen personellen Engpässen und dienstlicher Notwendigkeit gestrichen wird, dann hat dies, nicht nur mit zunehmendem Alter der Bediensteten, oft negative gesundheitliche Folgen!
Zwischenzeitlich haben schon betroffene Bedienstete eine sogenannte „Überlastungsanzeige“ gestellt, um sich selbst, den Arbeitgeber/Dienstherrn und eventuell betroffene Dritte vor negativen Folgen der Überlastung zu schützen und auf die unzureichenden Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen.
Aber was ist eine Überlastungsanzeige? Wie sieht die Rechtlage aus?
Welche Konsequenzen können sich daraus ergeben, wenn ein Bediensteter sie stellt?
Diese Fragen wollen wir hier beantworten.
Überlastungsanzeige – Was heißt das?
Der juristisch wirkende Begriff „Überlastungsanzeige“ existiert arbeits- bzw. dienstrechtlich im engeren Sinne nicht. Es gibt ihn weder in einem Tarifvertrag (TV-L, TVöD), noch ist er beamtenrechtlich festgelegt. Vielmehr wurde er auf Basis verschiedener Gesetze und Regelungen arbeitsrechtlich entwickelt – mit Relevanz auch für verbeamtetes Personal.
Die Überlastungsanzeige ist kurz gesagt eine individuelle Arbeitnehmer-/Bedienstetenmitteilung an den Arbeitgeber/Dienstherrn über nicht mehr akzeptable Arbeitsbedingungen, eben wegen Arbeitsüberlastung.
Definition:
Eine Überlastungsanzeige ist ein (am besten: schriftlicher) Hinweis des einzelnen Bediensteten an die Dienststelle/den Vorgesetzten über mögliche Schädigungen und Gefährdungen der Beschäftigten, der Dienststelle oder evtl. der von Diensthandlungen Betroffenen durch eine vorliegende Überlastung, etwa durch personelle Unterbesetzung, organisatorische Mängel oder mangelhafte Arbeitsbedingungen.
Die Anzeige dient der dringenden Mitteilung, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der Dienst-/Arbeitsleistung in einer konkret zu beschreibenden Situation gefährdet ist und Schäden für die Beteiligten zu befürchten sind.
Eine Überlastungsanzeige muss nicht als solche bezeichnet werden.
Warum Überlastung anzeigen?
Beschäftigte schulden ihrem Arbeitgeber/Dienstherrn, das zu tun, was sie sollen und zwar so gut, wie sie können.
Meist ist nirgendwo abschließend geregelt, wie viel Arbeit genau in der vorgeschriebenen Arbeitszeit zu leisten ist.
Niemand kann erwarten, dass man sich überarbeitet. Der Arbeitgeber/Dienstherr schuldet Fürsorge; er darf den Beschäftigten nicht überfordern.
Die Beschäftigten schulden Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber/Dienstherrn und gegenüber sich selbst. Auf bestehende Gefahren müssen sie hinweisen.
Durch die Überlastungsanzeige informiert der Arbeitnehmer/Bedienstete die Dienststelle darüber, dass Mängel in der Arbeitsorganisation, im Führungsverhalten oder in der Personalplanung bestehen, da zum Beispiel zu wenig Personal da ist oder nicht bedarfsgerecht eingesetzt wird.
Zweck der Anzeige ist, den Arbeitgeber/Dienstherrn über ordnungswidrige Arbeitssituationen zu informieren, damit er pflichtgemäß für Abhilfe sorgen kann.
Die Information dient aus Sicht des Anzeigenden aber auch dem Zweck, nach Möglichkeit eine eigene Entlastung für denkbare negative rechtliche Folgen der Überlastung zu erlangen.
Sollten bei der ordnungsgemäßen Erfüllung der Diensttätigkeit nämlich Schäden verursacht werden, kann die Überlastungsanzeige im Sinne von Eigenschutz Auswirkungen haben auf arbeits-/dienstrechtliche, zivil- und strafrechtliche Konsequenzen.
Die Überlastungsanzeige kann zum Beispiel Beweisfunktion haben in Bezug auf die Frage, ob der Bedienstete die Dienststelle auf die gefährdende Situation aufmerksam gemacht hat sowie in Bezug auf die Frage, welcher Haftungsmaßstab anzulegen ist in Schadensfällen. Der Beschäftigte haften nämlich bei leichter Fahrlässigkeit in der Regel gar nicht und nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz voll.
Die Überlastungsanzeige stellt den Beschäftigten nicht frei von der Pflicht zur Aufgabenerfüllung.
Die Verpflichtung zu größtmöglicher Sorgfalt in der auszuübenden Tätigkeit bleibt bestehen.
Der Arbeitgeber/Dienstherr hat die Pflicht, der Überlastungsanzeige nachzugehen.
Rechtsgrundlagen
Rechtlich fundiert wird die Überlastungsanzeige durch den Arbeitsvertrag/das Dienstverhältnis (insbesondere Erfüllung von Nebenpflichten daraus) und durch das Bürgerliche Gesetzbuch – BGB – (Schuldrecht, Haftungsrecht sowie Grundsatz „Treu und Glauben“ aus § 242 BGB).
Der Bedienstete ist unter anderem verpflichtet, den Arbeitgeber/Dienstherrn vor drohenden oder vorhersehbaren Schäden zu bewahren bzw. vor deren Eintritt zu warnen.
Diese Nebenpflichten werden arbeitsrechtlich im Arbeitsschutzgesetz konkretisiert.
Gemäß §§ 15 und 16 ArbSchG haben die Beschäftigten die Pflicht, für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen, soweit es für sie selbst möglich ist. Das gilt auch für Personen, die vom Tun/Unterlassen der Beschäftigten bei der Arbeit betroffen sind.
Dem Arbeitgeber/Dienstherrn ist zudem jede von den Beschäftigten festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit seiner selbst oder der von Diensthandlungen Betroffener unverzüglich zu melden. Das gilt auch für jeden an den Schutzsystemen des Arbeitgebers/Dienstherrn festgestellten Defekt.
Das Arbeitsschutzgesetz umfasst neben Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit Arbeitsgerätschaften und schädlichen Emissionen anerkanntermaßen ebenso Gesundheitsgefahren durch psychische Fehlbelastung.
Ein Verstoß gegen die Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag kann zu einer Abmahnung und in besonders schwerem Fall auch zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Die Mitteilung an den Arbeitgeber über eine kritische Situation, in der ein Schadeneintritt durch den Beschäftigten befürchtet wird oder nicht mehr ausgeschlossen werden kann, stellt also eine Nebenpflichterfüllung dar.
Sofern für einen Beschäftigten Handlungspflichten bestehen (wie die Nebenpflichterfüllung), hat er auch das Recht, diese gegenüber seinem Arbeitgeber auszuüben. Übt er in zulässiger Weise seine Rechte aus, darf ihm dadurch nach § 612a BGB kein Nachteil entstehen.
Beamtenrechtlich gilt Entsprechendes über das besondere Dienst- und Treueverhältnis zwischen Beamten und Dienstherrn.
Einerseits ist der Dienstherr in besonderer Fürsorgepflicht (§ 45 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) dazu angehalten, die Arbeitsverhältnisse so zu gestalten, dass keine Überlastung seiner Beamten eintritt.
Andererseits hat der Beamte im Rahmen seiner Beratungs- und Hinweispflicht (§ 35 Abs. 1 BeamtStG) den Dienstherrn über Missstände und Gefahren frühzeitig zu informieren.
Das Unterlassen einer Überlastungsanzeige kann im extremen Einzelfall sogar ein Dienstvergehen darstellen und den Beamten schadenersatzpflichtig machen, zumindest aber ein Mitverschulden auslösen (§ 254 BGB).
Dienstrechtliche Haftungsregelung ist im Landesrecht § 48 BeamtStG:
§ 48 BeamtStG – Pflicht zum Schadensersatz
Beamtinnen und Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, haben dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Haben mehrere Beamtinnen oder Beamte gemeinsam den Schaden verursacht, haften sie als Gesamtschuldner.
Die Haftung des Beamten für Schädigungen des Dienstherrn wird auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
Ob der Beamte grob fahrlässig gehandelt hat, ist stets Einzelfallfrage.
Grobe Fahrlässigkeit bedeutet, dass jemand die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt, weil er nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss oder weil er die einfachsten, naheliegenden Überlegungen nicht anstellt.
Für die Schadenshaftung der Beschäftigten finden die Bestimmungen, die für die Beamten des Landes jeweils gelten, entsprechende Anwendung (§ 3 Abs. 7 TV-L).
Überlastungsanzeige wann?
Die Anzeige sollte spätestens abgegeben werden, wenn absehbar ist,
• dass die individuelle Arbeit nicht mehr aus eigener Kraft zu leisten ist,
• dass Schäden nicht mehr ausgeschlossen werden können,
• dass andere (vertragliche) Verletzungen gegenüber den von Diensthandlungen Betroffenen nicht mehr ausgeschlossen werden können.
Die mögliche Gefahr eines Schadeneintritts ist dem Arbeitgeber/Dienstherrn unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu melden. Einen objektiven Maßstab gibt es dafür nicht. Allerdings sollte der Arbeitgeber/Dienstherr noch eine Reaktionszeit haben, um die Überlastungssituation zu beseitigen und so einen möglichen Schaden verhindern zu können.
Sobald der Bedienstete, der eine Überlastungsanzeige erwägt, merkt, dass die konkrete Gefährdungssituation für ihn nicht mehr „einzufangen“ ist, sollte er handeln. Wenn er also merkt, dass er seine Arbeit nicht mehr aus eigener Kraft ordnungsgemäß leisten kann, sollte er handeln. Gleiches gilt für den überlasteten Beschäftigten, der merkt, dass er eigenen psychischen Gesundheitsschaden zu nehmen beginnt.
Inhalt der Überlastungsanzeige
Folgende Informationen sind ratsamer Bestandteil einer Belastungsanzeige:
-Datum
-Namen des Beschäftigten
-betroffener Arbeitsbereich (Abteilung/Station), ggfls. Nennung des direkten Vorgesetzten
-konkrete Beschreibung der Situation im jeweiligen Bereich/kritische Situation, z.B. nicht zu bewältigender Arbeitsanfall
-zu erledigender Arbeitsanfall
-Aufzählung der Arbeiten, die nicht mehr erledigt werden können oder vorrangig vorgenommen werden
-Mindestbesetzung, notwendige Besetzung und tatsächliche Beschäftigtenanzahl im Bereich
-konkrete Überlastungsmerkmale (keine Pausen, zu lange Arbeitszeiten, Schilderung der Ursachen zu hoher Arbeitsbelastung, mangelnde Personalausstattung usw.)
-ggfls. Benennung von Zeugen, die die Situation bestätigen können
-dienstliche Folgen, z.B. bereits erfolgte Beschwerden
-persönliche Folgen, z.B. häufige Erkrankung aufgrund von Stress/Überlastung in der Vergangenheit
-vorheriger ergebnisloser telefonischer Hinweis an Arbeitgeber/Dienststelle
-Begehren nach unverzüglicher Abhilfe der Situation durch Arbeitgeber/Dienststelle
-ggfls. Formulierung von Abhilfevorschlägen
-Unterschrift
Wichtig ist, dass die Überlastungssituation so konkret wie möglich beschrieben wird.
Es können je nach Bedarf und Lage in der Dienststelle auch weitere oder andere Inhalte aufgenommen werden.
Besteht eine Dauerbelastungssituation, kann eine Anzeige erstattet werden, die solange aufrechterhalten wird, bis die ungenügenden Arbeitsbedingungen durch die Dienststelle bereinigt sind.
Tipps:
Es ist empfehlenswert, von der Überlastungsanzeige eine Kopie aufzubewahren, da sie unter Umständen im Beweisfall bei einem Schaden der Entlastung/Milderung von rechtlichen Konsequenzen dienen kann.
Die Überlastungsanzeige ist eine Urkunde und darf deshalb nicht ohne Einwilligung des betroffenen Beschäftigten vernichtet werden.
Ratsam ist auch, eine Kopie der Anzeige dem Personal-/Betriebsrat zuzuleiten.