02. Oktober 2013

Rechenspiele und Wirklichkeit im Justizvollzug

Anlässlich der Bundesvorstandsitzung des BSBD in Schleswig, haben die Landesvorsitzenden und die Bundesleitung, die Belegungsstatistik der Länder im Justizvollzug kritisiert. Nach dem aktuellen Bundesländer-Ranking durch das Statistische Bundesamt liegt Thüringen mit (53 %) an der Spitze der Mehrfachbelegung im Strafvollzug, Gefolgt von Baden-Württemberg (42 %) und Bayern (41%. In den meisten Bundesländern hat sich die Belegungssituation in den Justizvollzugsanstalten im 10-Jahresvergleich zwar entspannt, vom Ziel der Einzelunterbringung und einer Entlastung sind die Bundesländer allerdings noch weit entfernt.

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) kritisiert die nach wie vor dramatische Belegungssituation und die damit einhergehenden Probleme auf der am 26./27.09.2013 stattfindenden Jahrestagung der BSBD-Landesvorsitzenden im schleswig-holsteinischen Schleswig.

Völlig unverständlich sei, so die BSBD-Experten, dass die Politik diese Entwicklung nutze, um die rückläufigen Gefangenenzahlen sachwidrig für Einsparungen beim Personal sowie für die Schließungen von Abteilungen und Anstalten missbrauche. Dabei bestünde jetzt die faktische Möglichkeit, die Unterbringungsverhältnisse und die Behandlungsstandards ohne unvertretbar hohen Finanzaufwand zu verbessern.

Gerade vor dem Hintergrund der hoheitlichen Kernaufgabe der Bundesländer, die Gewalt in den Gefängnissen so weit als möglich zu verhindern, gewinnt die Betreuung der Gefangenen und die Einzelunterbringung an besonderem Gewicht.

Bereits 2010 und 2011 hat die „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“ die in den bundesdeutschen Vollzugseinrichtungen vorherrschenden Haftbedingungen teilweise massiv kritisiert. Aktuell kommt die in Niedersachsen eingesetzte Expertenkommission zur „Aufklärung mutmaßlich gewalttätiger Vorfälle in der JVA Wolfenbüttel“ zu der Einschätzung, dass sowohl räumliche wie auch personelle Voraussetzungen vor Ort keinen ausreichenden Schutz vor Gewalttaten im Dunkelfeld bieten. Auch die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz teilt diese Einschätzung, dass sowohl die räumlichen als auch die personellen Bedingungen die Arbeit der Bediensteten erheblich erschweren. Da die Verhältnisse in den Bundesländern weitgehend vergleichbar sind, kann die Feststellung durchaus als allgemeingültig angesehen werden. Der Justizvollzug lebe von einer „Hinschaukultur“ und Gewalt unter den Gefangenen müsse konsequent verfolgt werden, stellt die Ministerin klar. Sie gelangt in ihrer Pressemeldung vom 28.08.2013 somit zur gleichen Auffassung wie die BSBD-Landesvorsitzenden.

Trotz dieser rückläufigen Gefangenenzahlen bewegt sich die Mehrfachbelegung von Hafträumen in deutschen Haftanstalten immer noch auf einem hohen Niveau. „Von der angestrebten Einzelunterbringung sind wir insgesamt noch weit entfernt“, sagt Anton Bachl, Bundesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD).

„In begründeten Fällen ist eine Mehrfachunterbringung durchaus sinnvoll. Eine solch indikationsgestützte Gemeinschaftsbelegung dürfte rechnerisch aber deutlich unter zehn Prozent im Verhältnis zur Anzahl der Insassen liegen. Ferner muss berücksichtigt werden, dass wegen unvorhersehbarer Ereignisse und aus infrastrukturellen Gründen ca. 10 % der Hafträume ständig im Leerzustand vorgehalten werden sollten.“ Der gesetzlich vorgesehenen Einzelunterbringung nähern sich gerademal Hamburg mit einer Mehrfachbelegung in Höhe von 5% und das Saarland mit einer Mehrfachbelegung von 9% an. Alle weiteren 14 Bundesländer bringen zwischen 11 % und 53 % der Inhaftierten in Gemeinschaftshaft unter.

An der Spitze liegt Thüringen mit einer Mehrfachbelegung von 53 Prozent, danach folgen Baden-Württemberg (42), Bayern (41) und Sachsen (39). Im Falle der Einzelunterbringung würden die vorhandenen Kapazitäten in den bundesdeutschen Gefängnissen auch angesichts rückläufiger Gefangenenzahlen noch längst nicht ausreichen.

Im März-Vergleich von 2003 zu 2013 ging die Gesamtbelegung um 16.797 (20%), nämlich von 81.176 auf 64.379 Inhaftierte zurück.

„Statt die rückläufigen Gefangenenzahlen für eine Verbesserung der Betreuung zu nutzen, denkt die Politik nur über Einsparmaßnahmen und dabei in erster Linie über Personalabbau nach“, bemängelt Anton Bachl. „Schon jetzt fehlt es oftmals am erforderlichen Fachpersonal. In einzelnen Bundesländern wird aus Gründen der Haushaltskonsolidierung schon jetzt pauschal Personal abgebaut. Dabei wäre es politisch weitsichtiger, die sich aufgrund des abnehmenden Belegungsdrucks und der steigenden Steuereinnahmen ergebenden Handlungsspielräume zu nutzen, den Vollzug baulich und qualitativ sachgerecht auszustatten. Schließlich dürfte auch dem letzten Fachpolitiker zwischenzeitlich klar geworden sein, dass der beste Schutz vor Kriminalität die gelungene Wiedereingliederung von Straftätern ist.“

Völlig unbegreiflich sind politische Rechenspiele, im Strafvollzug gäbe es freie Haftplatzkapazitäten. Ein Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes genügt, um die Realität zu erkennen. Ein weiterer Blick in die landesspezifischen Strafvollzugsgesetze genügt, um festzustellen, dass die Einzelunterbringung künftig die Standardunterbringung darstellt. Und das nicht ohne Grund. Mehrfachbelegungen erschweren die Resozialisierungsbemühungen, fördern kriminelle Infektionen, begünstigen die Bildungen von Subkulturen, leisten Gewalttaten der Gefangenen untereinander Vorschub und beeinträchtigen dadurch nicht zuletzt die Sicherheit der Bediensteten.

Wenn inzwischen sogar Gefangene (Berlin) ein noch nie dagewesenes Volksbegehren für eine bessere Betreuung hinter Gitter anstreben, dann ist diesem Hilfeschrei nichts mehr hinzuzufügen.

Die teilweise dramatischen Überstundensituationen der Bediensteten in den einzelnen Bundesländern legen zudem beredtes Zeugnis davon ab, dass sich die dienstlichen Belastungen der Kolleginnen und Kollegen am Rande des Erträglichen bewegen.